Drachentöter-Dialog mit Dr. Karin Kneissl

Zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte entstanden Epen, Sagen und Legenden von heldenhaften Drachentötern. Allen Erzählungen gemeinsam ist die Charakteristik der Drachentöter – sie sind mutig, sonnenhaft, beschützen und retten die Schwachen, dienen dem Gemeinwohl und führen die Geschichte zu einer neuen Entwicklungsstufe.

Der Drache steht vordergründig für Verderben, Angst und Schrecken, das Teuflische. Er ist aber auch Sinnbild für das Verhärtete der Vergangenheit, dem der Keim für das Neue fehlt. Tote Traditionen werden zum Panzer. Dieses Korsett muss überwunden werden, um für einen Neubeginn Raum zu schaffen.

Am 26.3.2015 richtete der Dialog im Offizierskasino am Schwarzenbergplatz sein Augenmerk auf die geopolitische Situation im Nahen Osten, deren Bedrohungen unmittelbar auf Europa wirken, und die ihre Wurzeln ebenfalls in der Vergangenheit haben.

Drachentöter-Dialog mit Karin Kneissl

Die bekannte Publizistin und Nahost-Expertin führte dabei aus, dass der 1. Weltkrieg noch nicht beendet ist. Die Grenzziehungen vor 100 Jahren erfolgten entlang von Pipelines nach Gesichtspunkten der Energiepolitik der ehemaligen Kolonialmächte. Der aktuelle Zerfall von Staaten wie Syrien, Irak oder Jemen hängt damit eng zusammen.

Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings waren zwar demografische Probleme in der Region – Millionen junge Männer sehen trotz zum Teil guter Ausbildung keine Chance, ihre Lebenskonzepte zu verwirklichen. Diese sozialen Probleme wurden jedoch gezielt religiös-politisch instrumentalisiert. So finden derzeit Stellvertreter-Kriege zwischen dem radikal-sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran statt. Die Türkei, die ihre alte osmanische Vormachtstellung wieder erringen möchte, und Kurdistan, das einen unabhängigen Staat anstrebt, sowie der Gegensatz zwischen Israel und seinen Nachbarn befeuern diesen Konfliktherd.

Während die Großmächte USA, Russland und China ihre Interessen eher im Hintergrund verfolgen, könnte Europa der große Leidtragende dieses Konfliktes werden. Der Zerfall territorialer Staaten und die Schaffung eines auf Glauben beruhenden Kalifates durch den sog. „Islamischen Staat“ bedrohen das säkulare europäische Staatsverständnis. Die uneinheitliche europäische Außen- und Sicherheitspolitik lässt jedoch befürchten, dass „der Drache“ im Nahen Osten noch länger wüten wird. Da ein „Drachentöter“ derzeit nicht erkennbar ist, müssen wir uns – auch in Österreich – darauf einstellen, dass die Zone der Instabilität von Nordafrika über den Nahen Osten und die Schwarzmeer-Region bis ins Baltikum und die arktische Region auch in den nächsten Jahren – zumindest durch Flüchtlingsströme – einen großen Einfluss haben wird.

Erich Cibulka mit Karin Kneissl